Religionswissenschaft und Religionsgeschichte
print


Navigationspfad


Inhaltsbereich

Bilder, die Wunder bewirken: Konzepte und religionshistorische Erkundungen | Sose 2023

Interdisziplinäres Seminar mit Exkursion nach Venedig
Sommersemester 2023


Prof. Dr. Friedhelm Hartenstein, Altes Testament
Prof. Dr. Isabelle Mandrella, Philosophie
Prof. Dr. Daria Pezzoli-Olgiati, Religionswissenschaft
Prof. Dr. Loren Stuckenbruck, Neues Testament

DSC_2525

Thema und Fragestellung

Das interdisziplinäre Seminar fokussiert sich auf Bilder und ihre Bedeutung innerhalb religiöser Symbolsysteme und Traditionen. Religiöse Symbolsysteme können als komplexe Kommunikationssysteme verstanden werden, in denen verschiedene Medien und Modi interagieren. Während Texte und Sprache lange Zeit im Zentrum von intellektuellen Zugängen zu Religion standen, wurde visuelle Kommunikation erst in den letzten Jahrzehnten zu einem wichtigen Forschungsgegenstand der Theologie und Religionswissenschaft.

In diesem Seminar beschäftigen wir uns mit der Rolle von Bildern in Religion(en) mit einem spezifischen Interesse: Wir untersuchen Bilder mit Schwerpunkt auf ihre Performanz und Wirkung. Wir erforschen, welchen Beitrag visuelle Kommunikation leistet: Wie übermitteln und verkörpern Bilder transzendente Botschaften? Wie vermitteln sie zwischen transzendenten Sphären und der menschlichen Lebenswelt? Wie verankern sie jenseitige Offenbarungen im Hier und Jetzt? Wie materialisieren sie außerweltliche Phänomene?

 

Das Seminar ist als interdisziplinärer Austausch zwischen Philosophie, Bibelwissenschaften und Religionswissenschaft konzipiert. Es ist in zwei Abschnitte unterteilt: Im ersten Teil werden Grundkonzepte diskutiert, die Bilder als aktive religiöse Akteure verstehen. Im zweiten Teil werden die Ergebnisse dieser theoretischen Reflexion mit einer historischen Fallstudie in Verbindung gebracht, die einen wichtigen Platz innerhalb der venezianischen Kunst-, Architektur- und Religionsgeschichte einnimmt.

Teil I: Bild und visuelle Performanz als Grundkonzepte für die Religionsforschung

Mit der Einführung eines kulturwissenschaftlichen Ansatzes in Theologie und Religionswissenschaft haben Bilder in den letzten Jahrzehnten zunehmend Aufmerksamkeit erhalten. Aus einer konzeptionellen Perspektive gründen die Analyse und die Interpretation visueller Kommunikation in religiösen Traditionen in der Rezeption der Bildwissenschaft. Damit hat sich erstens ein breites, umfassendes Konzept des Bildes, das verschiedene materielle Formen und mentale Repräsentationen umfasst, als besonders produktiv für die Erforschung von Visualität in religiösen Systemen erwiesen. Zweitens werden Bilder in erster Linie nicht als Dinge, sondern als Praktiken definiert: In der Triangulation zwischen der Materialität von Bildern, den involvierten Körpern, die diese Bilder produzieren und rezipieren, und den immateriellen Bezügen, die die Bilder evozieren, werden visuelle Prozesse der Bedeutungsproduktion realisiert, angepasst und transformiert. Drittens ist ein kulturwissenschaftlicher Zugang zu Bildern mit spezifischen Zugängen zu Raum und Zeit verbunden: Visuelle Kommunikation geschieht immer an einem bestimmten Ort und zu einer bestimmten Zeit, an dem und zu der die Rezipierenden mit dem visuellen Material oder der imaginierten Repräsentation interagieren. Deshalb sind Bilder grundlegende Praktiken in religiösen Prozessen der Bedeutungsproduktion: Sie werden über verschiedene soziale Sphären, Kulturen und Zeiten rezipiert, geformt und übermittelt. Darüber hinaus interagieren sie mit anderen Medien und vermitteln Ideen, Werte und Normen. Im Seminar wird eine Dimension betont, die für die Erforschung von Religion besonders relevant ist: Die Performanz von Bildern und die Möglichkeit, sie als handelnde Subjekte zu verstehen.
Im ersten Teil des Seminars, der an der LMU wöchentlich stattfinden wird, werden wir Texte und Theorien diskutieren und uns in einem Dialog zwischen unseren Disziplinen mit der Performativität von Bildern befassen. Wir werden ausgewählte Quellentexte und zeitgenössische Theorien lesen und diskutieren und dadurch Konzepte der visuellen Performanz hervorheben, die für die Analyse visueller Kommunikation in religiösen Gemeinschaften und Traditionen weiterführend sind.

Teil II: Eine Fallstudie in Venedig: Santa Maria dei Miracoli

Anhand dieser Konzepte werden wir in einem Blockteil die Votivkirche Santa Maria dei Miracoli in Venedig untersuchen. Während eines dreitägigen Aufenthalts werden wir dieses bemerkenswerte, aus der Renaissance stammende Gebäude erforschen. Die Kirche wurde zwischen 1481 und 1489 von Pietro Lombardo und seinen Söhnen gebaut, um ein Gemälde zu beherbergen, das die Jungfrau Maria mit dem Jesuskind darstellt und im ersten Jahrzehnt des 15. Jahrhunderts gemalt wurde. Vor dem Bau der Kirche hing das Gemälde an der Außenwand eines Hauses und wurde bald zu einem Objekt der öffentlichen Verehrung, da es vermeintlich Wunder vollbrachte.
Während des Blockseminars in Venedig werden wir das Gebäude analysieren und dabei das Votivbild, die architektonische Gestaltung der Kirche sowie deren Skulpturen und Ikonographien ebenso wie ihre Verortung innerhalb des Sestriere di Cannaregio und des venezianischen Stadtplans des 15. Jahrhunderts berücksichtigen. Darüber hinaus werden wir die Transformationen des Gebäudes und die Rezeption des Votivbildes in den folgenden Jahrhunderten bis heute in den Blick nehmen.
Während sich der erste Teil des Seminars auf das Lesen und Definieren von Konzepten konzentriert, ist das Blockseminar in Venedig einerseits einer Erforschung des Ortes und andererseits den Präsentationen der Teilnehmenden gewidmet, die sich auf einzelne Aspekte der gewählten Fallstudie beziehen sollen.

Programm

Teil I: Bild und visuelle Performanz als Grundkonzepte der Religionsforschung
LMU, jeweils Mittwoch, 14–16

19.04.2023
Das Bild in Philosophie, Theologie und Religionswissenschaft
Eine Einführung anhand von kurzen Inputs und Diskussion

26.04.2023
Sehen und Gesehen-Werden. Das Bild in der Mystik des Nikolaus von Kues
Philosophischer Input durch Isabelle Mandrella und Responses aus den anderen disziplinären Perspektiven

03.05.2023
Die Darstellung und Funktion von Szenen biblischer Texte und Heiligen in der Wandmalerei in Kirchen am Tanasee, Äthiopien
Neutestamentlicher Input durch Loren Stuckenbruck und Responses aus den anderen disziplinären Perspektiven

10.05.2023
Körper, Medium, Praktiken: Götterdarstellungen in Palästina und in der Hebräischen Bibel im Licht einer Anthropologie des Bildes
Alttestamentlicher Input durch Friedhelm Hartenstein und Responses aus den anderen disziplinären Perspektiven

17.05.2023
Bilder als Vermittler: Votivbilder als religiöse Praxis
Religionswissenschaftlicher Input durch Daria Pezzoli-Olgiati und Responses aus den anderen disziplinären Perspektiven

24.05.2023
Synthese

15.05-16.06.2023
Individuelle Arbeit der Teilnehmenden und Vorbereitung von Präsentationen zu Santa Maria die Miracoli

Teil II: Eine Fallstudie in Venedig: Santa Maria dei Miracoli
16.-19.06.2023

16.06.2023: Anreise (ev. Nachtzug am 15.06.2023)
16.06.2023 (nachmittags) bis 19.06.2023: Blockseminar mit Präsentationen und Besuch der Kirche und des umliegenden Stadtviertels
19.06.2022: Abreise

Organisation und Anmeldung

Das Seminar ist offen für Studierende aus den verschiedenen Studiengängen der Katholischen und Evangelischen Theologie, der Philosophie und der Religionswissenschaft. Von den Studierenden wird erwartet, die wöchentlichen Sitzungen als Vorbereitung für den Aufenthalt in Venedig zu besuchen, die Texte zu lesen, aktiv an den Diskussionen teilzunehmen sowie eine Analyse eines ausgewählten Aspekts von Santa Maria dei Miracoli durchzuführen und das Ergebnis vor Ort vorzutragen.

Die wöchentlichen Sitzungen finden an der LMU statt. Das Blockseminar findet in der Foresteria Valdese Venezia statt, wo wir übernachten und arbeiten werden. Wir haben bereits Zimmer (jedoch keine Einzelzimmer) gebucht.

Die Kosten für Reise und Übernachtungen der Studierenden werden von der LMU übernommen.
Für diese Exkursion stehen 15 Plätze zur Verfügung. Wenn Sie daran teilnehmen möchten, kontaktieren Sie bitte Frau Heike Köhler (Email: nt2-sekretariat@evtheol.uni-muenchen.de) bis spätestens 31. Januar 2023. Für Informationen stehen die Dozierenden gerne zur Verfügung.

Das Seminar ist Teil des Lehrangebots des Sommersemesters 2023.

Literatur

Belting, Hans, 1990, Bild und Kult. Eine Geschichte des Bildes vor dem Zeitalter der Kunst, München: C.H. Beck.
Belting, Hans, 1998, Der Ort der Bilder, in: Belting, Hans/Haustein, Lydia (Hg.), Das Erbe der Bilder. Kunst und Moderne Medien in den Kulturen der Welt, München: Beck, 34–53.
Belting, Hans, 2001, Bild-Anthropologie. Entwürfe für eine Bildwissenschaft, München: Wilhelm Fink.
Belting, Hans, 2006, Das echte Bild. Bildfragen als Glaubensfragen, 2. Auflage, München: C.H. Beck.
Bocken, Inigo/Borsche, Tilman (Hg.), 2010, Kann das Denken malen? Philosophie und Malerei in der Renaissance, Münster: Aschendorff.
Boehm, Gottfried (Hg.), 2001, Was ist ein Bild?, 3. Auflage, München: Fink.
Borsche, Tilman/Schwaetzer, Harald (Hg.), 2019, Bilder beweglich denken, Münster: Aschendorff.
Bredekamp, Horst, 2010, Theorie des Bildakts. Frankfurter Adorno Vorlesungen 2007, Frankfurt a. M.: Suhrkamp.
Didi-Hubermann, Georges, 2000, Vor einem Bild, München: Hanser.
Didi-Hubermann, Georges, 2007, Blickwechsel mit Bildern. Die Bildfrage als Körperfrage, in: Belting, Hans (Hg.), Bilderfragen. Die Bildwissenschaften im Aufbruch, München: Fink, 49–77.
Filippi, Elena/Schwaetzer, Harald (Hg.), 2012, Spiegel der Seele. Reflexionen in Mystik und Malerei, Münster: Aschendorff.
Fritz, Natalie/Höpflinger, Anna-Katharina/Knauss, Stefanie/Mäder, Marie-Therese/ Pezzoli-Olgiati, Daria, Sichtbare Religion. Eine Einführung in die Religionswissenschaft, De Gruyter Studium, Berlin: De Gruyter 2018.
Girma Fisseha, Zewde Gabre-Selassie, Lother Pascher, Stanislaw Choijnaki, Äthiopien: Geschichte, Architektur, Kunst, Regensburg: Schnell und Steiner Verlag, 2005
Hall, Stuart, 2013b, The Work of Representation, in: Hall, Stuart/Evans, Jessica/Nixon, Sean (Hg.), Representation, Second Edition, London/Thousand Oakes/New Dehli: Sage, 1–47.
Hartenstein, Friedhelm/Moxter, Michael, Hermeneutik des Bildverbots. Exegetische und Systematisch-Theologische Annäherungen, Leipzig: Evangelische Verlangsanstalt 2016 (engl. Mawa, NJ: Paulist Press 2021)
Hartenstein, Friedhelm, Bildanthropologie, in: Bernd Janowski/Alexandra Grund-Wittenberg/Ute Neumann-Gorsolke/Jan Dietrich (Hg.), Handbuch der Anthropologie des Alten Testaments (HAA), Tübingen: Mohr Siebeck 2023 (im Druck)
Knauß, Stefanie/Pezzoli-Olgiati, Daria, 2015, Introduction. The Normative Power of Images. Religion, Gender, Visuality, in: Religion and Gender, 5, 1, 1–17, http://doi.org/10.18352/rg.10079.
Lieberman, Ralph, The Church of Santa Maria die Miracoli, New York: Garland 1986.
Mitchell, W.J.T., What do Pictures Want?, Livign and Loves of Images, Chicago: Chicago University Press 2005.
Pezzoli-Olgiati, Daria, Interdisziplinarität in der Religionsforschung. Zur Verbindung von disziplinärer Zugehörigkeit und wissenschaftlicher Vielfalt, in: Haußmann, Annette/Schleicher, Niklas (Hg.), Aktuelle Theologie. Zur Relevanz theologischer Forschung, Stuttgart: Kohlhammer 2020, 15–29.
Pezzoli-Olgiati, Daria, Sichtbare Religion und ihre epistemologischen Herausforderungen, in: Hock, Klaus (Hg.), Wissen um Religion: Erkenntnis – Interesse. Epistemologie und Episteme in Religionswissenschaft und Interkultureller Theologie, Veröffentlichung der Wissenschaftlichen Gesellschaft für Theologie 64, Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt 2020, 253–275.
Piana, Mario/Wolters, Wolfgang (Hg.), Santa Maria dei Miracoli a Venezia: la storia, la fabbrica, i restauri, Venezia: Istituto Veneto di scienze, lettere ed arti, 2003

Downloads